Newsletter Nr. 6

Liebe Leserinnen und Leser,

Unser Sommer-Newsletter wartet mit einem aktuellen Thema auf, nämlich den Spannungen zwischen dem Schutz der Privatsphäre und der nationalen Sicherheit. So hat das Schweizer Parlament in der diesjährigen Sommersession im Juni eine Gelegenheit verpasst, eine Grundsatzdebatte zu diesen Fragen auszulösen. Lesen Sie mehr hier im Editorial weiter unten.

Neuigkeiten zu Ethometrics

Im Rahmen der Weiterentwicklung von Ethometrics planen wir Ende Dezember eine Tagung zum Thema “Bluewashing” (den juristischen, politischen und mediatischen Praktiken der Unternehmen, mit denen diese eine ethischeres Bild von sich selber geben, als es die Realitäten rechtfertigen). Dabei werden wir folgende Fragen untersuchen:

  • Welche Normen sind massgebend in der Schweizer Unternehmensethik, beispielsweise in den Handelsbeziehungen auf dem internationalen und dem nationalen Markt?

  • Wie artikulieren sich das Recht, die Ethik, die Politik und die Kommunikation in den Beziehungen zwischen den Unternehmen und den weiteren betroffenen Personen und Institutionen (den Stakeholdern)?

  • Welcher Strategien bedienen sich die Unternehmen zur Konstruktion eines sozial- und umweltfreundlichen Rufes, und inwiefern entspricht dieser Ruf der Realität?

  • Unter welchen Bedingungen kann sich ein Dialog zwischen den Unternehmen und den weiteren Stakeholdern (insbesondere dem Staat) ergeben? Unter welchen Bedingungen ist dieser Dialog konstruktiv und wirksam?

Weitere Details folgen in unseren nächsten Mitteilungen. Wir hoffen darauf, Sie zahlreich an diesem Anlass begrüssen zu können.

Des weiteren möchten wir Sie dazu ermuntern, uns bei der Weiterentwicklung der Datenbank Ethometrics zu helfen. Wissen Sie von ethischen Verstössen, die noch nicht aufgeführt sind aber aufgeführt werden sollten? Wären Sie interessiert, Fälle von vermuteten Missbräuchen oder Unterlassungen unter die Lupe zu nehmen und das ethische Profil eines bestimmten Unternehmens zu studieren? Wir freuen uns auf Ihre Vorschläge und Hinweise.

Vielen Dank für Ihre Unterstützung.

Mit unseren besten Wünschen für diesen Sommer.

Der Vorstand von Pro Ethica


Snowden, PRISM, Echelon… und die Schweiz?

Kurz vor dem Ende der diesjährigen Sommersession des Parlaments und kurz nach dem Bekanntwerden von diversen Abhör-, Bespitzelung- und Spionageskandalen (z.B. Edward Snowden, PRISM, GB vs De http://www.dw.de/german-politicians-demand-details-on-british-surveillance-program/a-16903198) ging die Vernehmlassung eines Gesetzesvorschlages von Bundesrat Ueli Maurer zu Ende, die eine Ausweitung der Kompetenzen der Nachrichtendienste (NDB) vorsieht. http://www.srf.ch/news/schweiz/neuer-anlauf-zum-lauschangriff

Was erstaunt, ist nicht die Tatsache, dass bereits vier Jahre nach einem solchen Vorstoss erneut in kurzem Zeitabstand – und mitten in der Aufarbeitungsphase von internationalen Skandalen – ein solcher Vorstoss lanciert wird. Was erstaunt, ist der Umstand, dass alle Parteien durchs Spektrum der politischen Orientierungen mit der Verstärkung der Kompetenzen der NDB zur Abhörung, Bespitzelung (wahlweise mit Drohneneinsatz) und Fichierung seiner Bürger unter dem Argument der Spionage und des Terrorismus einverstanden sind.

Die Aussagen der Parlamentarier zeugen leider von fehlender Sensibilität, was das Thema Grundrechte und Datenschutz angeht. (Wenn Thomas Hurter, Mitglied der Sicherheitspolitischen Kommission des Nationalrates bspw. davon spricht, dass der ‘Schutz des Bürgers’ hier höher zu gewichten sei, als sein Recht auf Privatsphäre. Unter dem Schutzmantel des Terrorverdachtes und der Internetkriminalität werden hier Bedürfnisse der Staatssicherheit betoniert, ohne dass auch nur eine einzige kritische Rückfrage eine richtige Auseinandersetzung über Angebrachtheit, Ausmass oder Grundsätzlichkeit der Nachrichtendienste und ihrer strukturellen Grenzen ermöglicht. Denn – auch wenn gerne das Gegenteil behauptet wird – fehlt es nicht an Informationen, wenn es um potentielle Gefahren des organisierten Verbrechens, Terrorismus, Cyberkriminalität o.Ä. geht. Vielmehr blockieren alte (und in ihrer Zeit durchaus gerechtfertigte) Organisationsstrukturen den korrekten, schnellen und effizienten Austausch von Informationen zwischen der Nachrichtendiensten, Fedpol, kantonalen Behörden, Kantonspolizeien.

Hier wäre eine Reorganisation nach einer kritischen Analyse der heutigen Bedürfnisse angebracht, nicht eine Ausweitung von Kompetenzen und Rechte der Bundesbehörden die vor etwas mehr als 30 Jahren bereits einen Skandal in Sachen Fichierung seiner Bürger hinter sich hat.

Handelte es sich bei der Fichenaffäre um gerade mal 900’000 Fichen (weniger als 10% der damaligen Bevölkerung) mit dem Ziel den Einfluss von ‘subversiven’ Elementen des linken politischen Spektrums unter Kontrolle zu halten, sind die zu erwartenden Datenmassen und die potentielle Tiefe der Informationen kaum abzuschätzen. Im Gegensatz zu den 80-er Jahren lebt ein Grossteil der heutigen Schweizer ihr Leben teilweise online und vernetzt. Wird einer (oder mehrerer) Bundesbehörden erlaubt hier Informationen anzusammeln, stellen sich nicht nur Fragen bezüglich der Datensicherheit, sondern auch der Zweckmässigkeit. (Besonders, wenn als Gegenargument eine Fallzahl von zehn Personen pro Jahr suggeriert wird. Rechtfertigt das direkt ein neues Gesetz?) Wir kaufen online, wir diskutieren online, wir konsumieren online. Gmail, Facebook, Amazon, Swisscom… um nur vier der grössten Big Data Minen zu benennen, liefern Informationen über unser Kommunikationsverhalten, unsere Vorlieben, unsere Kontakte, was wir lesen, wie wir lesen, wo wir lesen, wen wir anrufen. Nähme man die verschiedenen Treue- und Aktionssysteme von Coop und/oder Migros hinzu, erschliessen sich sofort Kaufverhalten und Werbeklasse. Alleine mit diesen Informationen lassen sich Fichen erstellen, wie sie noch nie in der Geschichte auch nur angedacht wurden.

Und dies alles unter dem Gesichtspunkt des Bekämpfung des Terrorismus und der Cyberkriminalität. Eine wahre parlamentarische Debatte hätte allerdings schnell den grundlegenden Denkfehler dieser Überlegungen zu Tage gefördert: Wer etwas zu verbergen hat, der wird bspw. nicht von einem Bundestrojaner erfasst werden. Wir wissen heute, dass die Organisationsstruktur der für die Anschläge des 11. Septembers in New York verantwortlichen Gruppen ohne interne Kommunikation auskam, und dass das organisierte Verbrechen nur noch direkt oder über unregistrierte Telefone mit Prepaid Verträgen kommuniziert. Dieser Gedanke lässt sich beliebig weiterspinnen. 
Leider haben es der Nationalrat versäumt – nach einem Postulat von Nationalrätin Doris Fiala (FDP, ZH) – Bundesrat Ueli Maurer und den Gesamtbundesrat anhand eines Berichtes über Absichten und Ziele einer solchen Gesetzesänderung zu hinterfragen. (Geschäftsnummer 10.3673, http://www.parlament.ch/ab/frameset/d/n/4904/383062/d_n_4904_383062_383232.htm )

Und am Ende stellt sich doch die Frage, wie es kommen kann, dass wir als mündige Bürger das Bespitzeln der eigenen Bürger in einer Diktatur als ‘logische Folge’ des Totalitarismus verdammen, am nächsten Tag aber ohne Probleme dieselben Vorgehen in unserer eigenen Demokratie als gegebenes Übel akzeptieren. Ist damit nicht das endgültige Ziel des Terrorismus erreicht? Wenn wir freiwillig unsere eigenen Rechte aufgeben, aus Angst eines Anschlags oder der Spionage anderer Länder? Und uns dabei scheinbar auch noch alle einig sind?

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